Kosteneinsparungen standen früher ganz oben auf der Agenda von Supply Chain-Managern. Doch angesichts einer immer volatileren Welt rückt das Design robuster Ketten immer mehr in den Fokus der Entscheider. Das wird wohl künftig so bleiben.
Wegen der Huthi-Rebellen umfahren viele Schiffe aktuell den Suez-Kanal. Am Panama-Kanal sorgte 2023 extreme Trockenheit für den Stau von Schiffen. Aufgrund solcher Lieferkettenprobleme müssen Unternehmen laut Setlog-Geschäftsführer Ralf Düster für robuste und transparente Supply Chains sorgen, damit sie schnell reagieren können.
Ein manövrierunfähiges Containerschiff bringt eine Brücke in Baltimore zum Einsturz, Huthi-Rebellen kapern Schiffe im Roten Meer, Unwetter überschwemmen die Wüstenstadt Dubai: Meldungen wie diese bereiten vielen Supply Chain-Managern schlaflose Nächte. Denn von heute auf morgen werden Lieferketten unterbrochen, Frachtkapazitäten und Equipment fehlen ohne Vorwarnung. Die Supply Chain-Lenker müssen neue Transportwege, Häfen oder Lieferanten finden, mehr Zeit einplanen, früher oder schneller produzieren lassen oder teurere Transportarten auswählen. Geopolitische, wirtschaftliche, ökologische und technische Veränderungen bringen in kurzen Abständen die globalen Lieferketten unter Druck – oder unterbrechen sie sogar.
Die Folge: Das Thema Lieferkettenresilienz steht ganz oben auf der Agenda der Supply Chain-Verantwortlichen. Das war vor einigen Jahren noch anders. Beispiel Deutschland: Die Studie „Trends in Logistik & SCM“ der Bundesvereinigung Logistik (BVL) von 2023 zeigt: 2016 war das Thema Kostendruck das wichtigste Thema der Entscheider, 2023 rangiert es nur noch auf Rang vier. Höchste Priorität hat inzwischen Cybersicherheit, gefolgt von Digitalisierung und dem Mangel an Fachkräften. Viele Maßnahmen in puncto Cyber Security und Digitalisierung zahlen darauf ein, dass Lieferketten robuster werden.
Resilienz kann man grundsätzlich in zwei unterschiedliche Komponenten trennen: die operative, reaktive und die strategische, proaktive. Letztere erfordert, dass die Top-Manager in Unternehmen ihre Entscheidungen grundsätzlich überdenken. Sie müssen Wege finden, wie die Robustheit der Supply Chain mithilfe von Entscheidungen im Procurement, im Produktdesign, in der Produktion, der Planung und der Logistik gestärkt werden kann.
Grundsätzlich müssen sich alle Unternehmen Gedanken über das Thema Lieferkettenresilienz machen. Besonders global agierende Firmen – beispielsweise Automobilzulieferer, Halbleiterhersteller oder Konsumgüter-Spezialisten – sind besonders betroffen von Störungen der Supply Chain. Erschwerend kommt hinzu, dass etwa Importeure von schnelldrehenden Konsumgütern aus Kostengründen gar keine andere Wahl haben als ihre Produkte in Asien oder Ländern außerhalb Europas einzukaufen. Würden sie in Deutschland produzieren, wären sie in aller Regel nicht wettbewerbsfähig.
Unwetter, Unglücke, Krieg: Obwohl jedes Jahr eine Vielzahl von negativen Ereignissen eintreten, ist es erschreckend zu sehen, wie langsam Firmen auf solche Störungen der Lieferketten reagieren können – auch in hochindustrialisierten Ländern. Aktuelle Umfragen zeigen, dass beispielsweise in Deutschland im Schnitt nur jedes zehnte Unternehmen in der Lage ist, binnen 24 Stunden auf ein folgenschweres Unglück zu reagieren. Es gibt zwar Ausnahmen – etwa in der Öl- und Gasindustrie – aber dieser Durchschnittswert zeigt, welche Risiken viele Firmen tagtäglich eingehen.
Ein Grund für lange Reaktionszeiten und Missverständnisse ist die Tatsache, dass immer noch Unternehmen zur Steuerung ihrer Lieferketten als Basis Excel-Listen einsetzen und hierfür Stamm- und Bestelldaten aus der Warenwirtschaft händisch abtippen – und das sind nicht wenige: Mehr als ein Drittel der deutschen Firmen verlässt sich nur auf dieses Programm, ergänzt um E-Mails und hektische Anrufe, bei denen Informationen eingeholt werden, um diese dann wieder in die vorhandenen Excellisten oder in die Warenwirtschaftssysteme einzutragen.
Grundsätzlich zeigen Statistiken, dass vor allem Konzerne ihre Lieferketten mithilfe von verschiedenen Maßnahmen gestärkten haben. Kleinere Unternehmen sowie der Mittelstand hinken dabei hinterher – oder befinden sich noch am Anfang einer Transformationsphase.
Die gute Nachricht für alle lautet: Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, mit denen Unternehmen relativ schnell Erfolge erzielen können. Supply Chain-Champions gehen in der Regel so vor, dass sie mit einer Analyse beginnen und dabei schauen, in welchen Bereichen Risiken vermutet werden und welche Folgen diese auf die Performance der Firma haben können. Danach definieren die Verantwortlichen die Hebel, welche die identifizierten Risiken am besten adressieren. Sie gehen dabei funktionsübergreifend vor: Denn die Ursachen sind in der Regel nicht dort zu finden, wo die Folgen von Lieferkettenschwächen in Erscheinung treten.
Unternehmen sind gut beraten, an einer ganzen Reihe von Schrauben parallel zu drehen, um ihre Resilienz in den Bereichen Supply Chain und Einkauf zu stärken. Dazu zählen im Bereich Supply Chain:
- Segmentierung der Lieferkette
- Stärkung integrierte Planung
- Bestandsmanagement nach Risikokriterien
- Diversifizierung von Spediteuren
- Re-Evaluierung des Netzwerkdesigns
Für den Bereich Einkauf gilt:
- Multi-Sourcing-Strategien für kritische Komponenten
- Erstellung von Lieferantenrisikoprofilen
- Entwicklung regionaler Lieferanten
- Engere Kooperationen mit Lieferanten
- Transparenzerzeugung in puncto tatsächlicher Lieferantenkapazitäten
Um das alles zu bewerkstelligen, sind der Aufbau und Einsatz zentraler, digitaler unternehmensübergreifender Lösungen sowie der Datenaustausch zwischen unterschiedlichen Systemen ein wichtiger Schritt, um eine kollaborative, partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Geschäftspartnern global zu ermöglichen. Das ist heutzutage mit intelligenten REST-API-Schnittstellen problemlos möglich, so dass man das Silo der Warenwirtschaft beziehungsweise des ERP-Systems aufbrechen und mit intelligenten Lösungen einfach verknüpfen und den Datenfluss optimieren kann.
Das Thema Fachkräftemangel zeigt zudem, dass nur mit diesen Methoden Redundanzen bei der täglichen Arbeit vermieden, Arbeitszeit der Fachkräfte im Unternehmen sinnvoller eingesetzt und schnellere, qualitativ bessere Entscheidungen getroffen werden können.
Supply Chain-Champions kümmern sich übrigens mehr als der Durschnitt um die Themen Produktdesign und Produktion, weil speziell in diesen Bereichen die Grundlagen für eine robustere Lieferkette gelegt werden können. Sie gehen unter anderem Themen wie modulares Design, Komponentenstandardisierung, Rohstoffzusammensetzung so wie Herkunft der Lieferanten konsequent an.
Um Lieferketten nachhaltig robuster zu gestalten, müssen Firmen jedoch mehr tun als nur einzelne Maßnahmen umzusetzen. Um Kosteneffizienz, Wachstum und gleichzeitig Resilienz zu erzielen, sollten SCM-Verantwortliche die Entscheidungstreiber in der Supply Chain überdenken und neu definieren. In der Regel werden Kosten, Qualität und Zeit beziehungsweise Service- Level als Entscheidungstreiber im Lieferkettenmanagement betrachtet. Die Konfiguration einer Lieferkette bezieht Position zu diesen Treibern, die nicht alle gleichzeitig verbessert werden können. Führende global Player betrachten Resilienz als wesentlichen Entscheidungstreiber – neben Nachhaltigkeit und Agilität.
Fälschlicherweise wird in manchen Unternehmen vermutet, dass es zwischen den Treibern Kosten und Resilienz einen Konflikt gibt. In diesem Zusammenhang sind folgende Aspekte wichtig: Das Ziel von Resilienz ist auch, mittel- und langfristig Kosten zu vermeiden. Dafür müssen aber nicht zwingend kurzfristige Kosten und Redundanzen entstehen. Viele Initiativen zur Stärkung der Lieferketten ermöglichen es, gleichzeitig die Kosteneffizienz zu erhöhen, so dass sich Resilienzhebel, etwa mit der Nebenbedingung der Kostenneutralität, durchaus umsetzen lassen.
Viele Lieferketten-Strategen segmentieren Lieferketten. Zum Teil sehr erfolgreich. Wenn zum Beispiel für kritische Teile höhere Lagerreichweiten gelten sollen, müssen Ist- und Sollbestände analysiert werden. Firmen können so auf einfachem Weg Bestandseinsparungen bei weniger kritischen Teilen erreichen. Andere Hebel rund um Visibilität und Lieferantenintegration erzielen in der Regel effizientere Prozesse, präzisere Planung und Automatisierungsoptionen.
Trotz des Wandels in vielen Köpfen ist allerdings immer noch Fakt: Resilienz und Risikomanagement mit dem Fokus auf Supply Chains erfahren aus organisatorischer Perspektive immer noch eine stiefmütterliche Behandlung. Dabei können kompetente Teams eine funktionsübergreifende Abstimmung sicherstellen und Kommunikationskanäle zur schnelleren Risikoerkennung etablieren. Die Besten der Besten simulieren in diesem Zusammenhang diverse Krisen, auch „war gaming“ genannt. Leider fehlt in vielen Firmen das nötige Wissen, welche Zukunftsszenarien aufgrund von geopolitischen, ökonomischen und ökologischen Negativereignissen eintreten können. Das Know-how, welche Szenarien passieren können, bildet jedoch die Basis dafür, geeignete Gegenmaßnahmen zu entwickeln und damit die Resilienz der Supply Chain zu stärken.
Im Laufe der nächsten Jahre werden dank Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz noch mehr Tools zur Verfügung stehen, welche die Robustheit der Lieferketten stärken können. Wie auch immer diese Lösung aussehen werden – sie sind alles andere als überflüssig. Das Thema Resilienz ist kein Hype, es wird uns permanent beschäftigen.
Autor: Ralf Düster, Geschäftsführer, Setlog GmbH in Bochum
Über Setlog
Die Setlog GmbH ist ein Anbieter von Supply Chain Management (SCM)-Lösungen. Zentrales Produkt ist die cloudbasierte Software OSCA mit den Lösungen Purchase Order Management, SRM, Global Logistics, CSR und Quality Control. OSCA, das für „Online Supply Chain Accelerator“ steht, ist bei mehr als 150 Marken in den Bereichen Bekleidung, Elektronik, Nahrungsmittel, Konsumgüter und Hardware im Einsatz. Mithilfe von OSCA vernetzen sich Unternehmen mit ihren Lieferanten und Dienstleistern, um ihre Lieferkette optimal aufeinander abzustimmen, Prozesse zu beschleunigen und Supply Chains effizient zu managen.
Die Setlog GmbH wurde 2001 gegründet und zählt heute mit über 40.000 Nutzern in 92 Ländern zu den führenden Anbietern von SCM-Software. Das Softwarehaus beschäftigt 60 Mitarbeiter an den Standorten Bochum (Sitz), Köln und New York. www.setlog.com