Rein in den bequemen Sessel, einen Schluck Kaffee nehmen und man versinkt langsam in dem Treibsand der Gedanken, die einen immer tiefer in die Problemsphären, die sich vor einem auftun, ziehen.
Ein leuchtender Pfad oder roter Faden eines Konzepts erscheint am geistigen Himmel und das Schiff der uruktion setzt sich langsam und behäbig in Bewegung, während die Gedanken mit Lichtgeschwindigkeit rasen, in der Zeit vor- und zurückspringen, Bibliotheken durchwühlen und die verschiedensten Orten mit seltsamen Namen besuchen. Mal ist es ein Hafen voller Schiffe, die mit Containern beladen werden müssen, mal ist es die Schmiede, in der der Boilerplate-Code gegossen und vernietet werden soll, und dann ist es plötzlich die Datenbank, in der der wertvollste Schatz – die Information aus den Daten – schlummert und gehoben werden will.
Die Bilder vor dem geistigen Auge wechseln stroboskopartig – nach Außen erscheint es wie Multitasking – in Wirklichkeit ist es aber eine irrsinnig schnelle sequenzielle Verarbeitung die sich in immer schneller werdendem Stakkato auf der Tastatur wiederspiegelt – angefeuert durch die elektronische Musik aus den Kopfhörern.
Man gleitet auf den Schwingen der Inspiration – alles erscheint leicht und logisch. Es macht Spaß zu konstruieren und zwar so zu konstruieren, dass das Ergebnis den eigenen und den allgemeinen Qualitätsvorgaben genügt.
Nichts kann einen aufhalten, auch wenn man zwischendurch das Wissen aus dem Intra- oder Internet zur Rate zieht. Man ergreift es mit der Leichtigkeit eines Jongleurs, der die Bälle in höchster Konzentration mit einer unglaublichen Präzision immer wieder in die Flugbahn, in den Orbit schickt.
Obwohl man mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit durch den virtuellen Hyperraum der Entwicklung daherrast, vergeht die Zeit trotzdem noch schneller und man stellt beim gelegentlichen Blick auf die überall präsente Uhr mit Bestürzung fest, wie lange man schon hier sitzt und was für ein Berg an Aufgaben sich immer noch vor einem auftürmt. Es ist ein Paradoxon ähnlich der Relativitätstheorie und kommt dem Phänomen Zeitreisen sehr nahe. Die Erkenntnis des Kontrollverlusts über die Zeit wirkt defokussierend und die Fahrt gerät ins Schlingern, was zu Kollateralschäden und Kursabweichungen führt.
Um dem entgegenzusteuern, ordnet man seine Notizen und dokumentiert das bislang entstandene Konzept im Kopf, doch es ist wie in dem Quantenkosmos: wenn man ein bestimmtes Element genauer betrachtet, verändert man es dadurch gleichzeitig, so dass der ursprüngliche Entwurf einem immer mehr entgleitet, je mehr man sich in der Metaebene verliert.
Die Baustelle wird kurzerhand verlassen, man konsultiert erneut die Vorgaben, spielt nochmal im Geiste den Prozess durch – und stellt mit Bestürzung fest, dass die ursprünglichen Annahmen nicht zutreffen und man einiges zurückbauen muss!
Ein lähmender Krampf geht durch das innerste Wesen. Man verliert das Gefühl für den Körper und gleichzeitig ist dieser plötzlich sehr präsent: Völlegefühl, Taubheit, Brennen in den Augen, ein Schweißfilm bedeckt die Stirn.
Hektisch springt man in der Zeit zurück und versucht alles mit so wenig Aufwand wie möglich wieder ins Lot zu bringen, das Schiff auf den richtigen Kurs zu lenken und die Kurve zu kriegen. Man muss um-, auf- und rückbauen.
Die Zeit drängt, alles juckt, man möchte sich antreiben, peitschen und kratzen, beißt in die Lippen, in die Finger, zerkaut die Fingernägel voller Ungeduld und brennendem Ehrgeiz.
Es ist eigentlich Feierabend, aber man möchte nicht aufhören. Man kann nicht aufhören, nicht in diesem Zustand der nervlichen Erschütterung, Zerrüttung und des Ungleichgewichts, in dem sich der Körper und der Geist momentan befinden. Das wird nicht gutgehen – die Gedanken werden sich nicht beruhigen und die Geister, die man rief werden die ganze Nacht bis zum Morgengrauen die bereits jetzt geschundene Seele quälen und heimsuchen.
Oh Gott – bloß das nicht!
Also weiter, der Pfad muss zu Ende beschritten werden und man muss sich zwingen auf das Licht am Ende des Tunnels – ach was Tunnel – des Labyrinths zu beschreiten.
Und dann kommt es. Ganz plötzlich, beinahe unerwartet und fast überraschend. Man starrt auf den Bildschirm und kann es kaum fassen, begreifen oder gar glauben.
Man hat es geschafft!
Es läuft so wie man es sich vorstellt hat – es lebt, es lebt! Man hat etwas Neues, Wunderbares und Einmaliges erschaffen – noch klein und unbeholfen, aber es lebt und krabbelt, läuft und reagiert! Für einen klitzekleinen überwältigenden Moment ist man Gott, der Welten erschafft und Leben schenkt.
Staunend und voller Glück betrachtet man das Ergebnis seiner Arbeit. Man ist erschöpft, schweißgebadet, zittert am ganzen Leib, ein leichtes Übelkeitsgefühl überkommt einen, aber – und das ist das Wichtigste – man ist glücklich!
Und ja, erst mit diesem erhebenden Gefühl lohnt es sich wirklich in den Feierabend zu starten.
Es ist vollbracht!