- Stau im Zoll der Häfen hat bis zu drei Wochen Wartezeit zur Folge.
- Experte prognostiziert langfristig höhere Preise für Verbraucher.
- Kostensteigerungen bringen Produzenten unter Druck.
Modeproduktion an zwei Linien: In Bangladesch stauen sich Waren bis zu drei Wochen im Zoll. Geht davon aus, dass viele Textilfabriken ihre Cash-Flow-Krise nicht überleben werden: Einkaufsexperte Steffen Günner. Fotos: Shutterstock / Bay City
(Bochum / New York, 20.8.2024). Die Gewaltausbrüche in Bangladesch mit Hunderten Toten und der dadurch resultierende Regierungssturz werden langfristig Folgen sowohl für Importeure als auch Konsumenten haben – in Form von höheren Preisen für Bekleidung. Diese Prognose wagt Steffen Günner, Geschäftsführer Einkauf des Dienstleisters Bay City. Er kauft jährlich rund 30 Millionen Teile für 20 europäische Marken, Handelsketten und Discounter im achtgrößten Land der Welt ein. Er widerspricht damit Verbandsvertretern, die sich jüngst zurückhaltend über die Konsequenzen der Unruhen geäußert hatten. „In den nächsten Tagen und Wochen werden Verbraucherinnen und Verbraucher nichts spüren. Das ist korrekt. Aber spätestens Mitte 2025 werden die Preise für Mode anziehen“, befürchtet der Einkaufsexperte.
Günner glaubt, dass die Händler und Discounter in Deutschland die steigenden Einkaufs- und Transportpreise weitergeben müssen. Obwohl fast alle Fabriken in Bangladesch nach einer zweiwöchigen Zwangspause – es waren offiziell von der Regierung angeordnete Ausgangssperren und „Feiertage“ Anfang August – wieder geöffnet sind, gibt es jetzt schon Lieferengpässe und-verzögerungen: Derzeit stauen sich Stoffe, die Bangladesch insbesondere in China zur Weiterverarbeitung einkauft, bis zu drei Wochen im Zoll der Häfen und Flughäfen. Das bestätigt auch Ralf Düster, Managing Director von Setlog, dessen SCM-Software OSCA Bay City zur Steuerung der Lieferketten nutzt: „Zwei bis drei Wochen Verschiebung der geschätzten Ankunftszeit der Waren sehen und hören wir aktuell aus der Branche“, berichtet Düster. Er hatte vergangene Woche Daten von 20 Unternehmen analysiert. Diese Fashion-Marken zusammengenommen kaufen mehr als 25 Prozent aller ihrer Waren allein in Bangladesch ein.
Die Probleme bei der Verzollung rühren laut Günner daher, dass offene Stellen durch die Übergangsregierung noch nicht besetzt wurden. Doch der Zoll ist nur eine offene Baustelle, die andere ist die kaputte Infrastruktur. Bei den Gewaltausbrüchen zwischen Regierungstreuen sowie Oppositionellen und Studenten wurden zahlreiche Straßen und Gebäude beschädigt. Jetzt funktioniert beispielsweise der Bustransfer für Pendler zu ihren Arbeitsstätten nicht mehr richtig. „Im Schnitt arbeitet derzeit in den Textilfabriken nur 75 Prozent der Belegschaft“, berichtet Günner.
Das bringt die Besitzer und Manager in den Fabriken unter Druck: Sie können Produktionspläne und die oft Monate im Voraus vereinbarten Liefermengen nicht einhalten. Und das wiederum führt in einen Teufelskreis aus nur teilweise oder nicht bezahlten Rechnungen der Importeure und ausstehenden Löhnen seit Beginn der Proteste Mitte Juli.
Und die schlaflosen Nächte der Manager haben noch einen weiteren Grund: Nach den Streiks der Textilarbeiterinnen und -arbeiter hatte eine von der Regierung eingesetzte Kommission vor einigen Monaten eine Mindestlohnerhöhung um 56,25 Prozent auf 104 Euro ab Dezember durchgesetzt. „Diese Lohnerhöhungen sind bisher genauso wenig eingepreist wie die gestiegenen Energiekosten und die Inflation“, erläutert Günner.
Er glaubt, dass viele Fabriken aus ihrer Cash-Flow-Krise nicht herauskommen werden. Und wenn die Löhne und Gehälter nicht bezahlt werden, streiken die Angestellten erneut. „Zum Teil sind das nicht nur friedliche Streiks. Mitunter beschädigen sie auch ihre eigenen Arbeitsstätten“, erläutert Günner die Folgen. Er geht davon aus, dass die Einkaufspreise, beispielsweise weniger als ein Euro für ein Kinder-T-Shirt, für Handelsketten und Discounter hierzulande nicht mehr gehalten werden können.
Doch die Preissteigerungen der Lieferanten an die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland durchzureichen, scheuen viele Handelsketten – vor allem jene, die nachhaltige Produkte anbieten: Sie überlegen sich Günner zufolge Preiserhöhungen zweimal, „weil ihnen Billigstanbieter, die das Thema Nachhaltigkeit außen vor lassen, dann Marktanteile abgraben“.
Sowohl Günner als auch Düster befürchten, dass Bangladesch trotz der großen Kapazitäten in Zukunft seine Rolle als aufstrebende „Nähfabrik Europas“ und zweitwichtigstes Importland für Modeanbieter in Deutschland verlieren kann, falls sich die Lage nicht bessert. „Das wäre auch in Sachen Klimaziele ein enormer Rückschritt: Denn auch in diesem Punkt hat Bangladesch, das aus dem Unglück von Rana Plaza enorm gelernt hat, viel aufgeholt und ist deutlich weiter als andere Länder Asiens, bei denen das Thema Zertifizierung zum Teil noch in den Kinderschuhen steckt. Und Bangladesch bietet zudem ein sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis für nachhaltige Fashion“, erläutert Düster. Die Nachhaltigkeitsoffensive des rund 170 Millionen Einwohner zählenden Landes ist ein Hoffnungsschimmer für die Textilwirtschaft. „Importeure, die nachhaltige Produkte anbieten wollen, überlegen sich sehr gut, ob sie Bangladesch als Produktionsland den Rücken kehren sollen“, sagt Düster.
Hintergrund zu Bangladesch
Bangladesch ist nach China das wichtigste Importland für Bekleidung für die Modebranche in Deutschland. Dem Statistischem Bundesamt zufolge wurden 2023 Waren im Wert von insgesamt 7,1 Milliarden Euro nach Deutschland eingeführt. Die Wirtschaft des Landes ist stark auf die Textilindustrie ausgerichtet. 85 Prozent der Exporte sind aus der Fashion-Branche. Es gibt dort knapp 4000 Textilfabriken, die mehr als vier Millionen Menschen, vorwiegend Arbeiterinnen, beschäftigen. Die Rolle von Bangladesch für Fashionanbieter wurde in den vergangenen Jahren immer wichtiger. Der Anteil Bangladeschs an den gesamten deutschen Bekleidungsimporten machte 2023 rund 20 Prozent aus, er hatte im Jahr 2013 nur bei etwa zwölf Prozent gelegen.
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Die Setlog GmbH wurde 2001 gegründet und zählt heute mit über 40.000 Nutzern in 92 Ländern zu den führenden Anbietern von SCM-Software. Das Softwarehaus beschäftigt 60 Mitarbeiter an den Standorten Bochum (Sitz), Köln und New York. www.setlog.com